In der Reihe „Ehemalige Züge“ stellen wir heute einen Zug vor, dessen Weggang aus unserem Korps als echter Verlust angesehen werden muss. Es handelt sich um den ehemaligen Hubertuszug „Hubertus-Hirsch“, der uns 1966 verlassen hat, um sich ab 1967 der Schützenlust anzuschließen.
Der Zug wurde im September 1953, dem ersten Jahr der wiederbelebten Hubertusschützen, gegründet aus einem Kreis von Schulfreunden und Messdienern um die beiden Jagdgehilfen Karl Klaff und HaKo Maier, die an der Seite des ersten Hubertuskönigs Georg Kistler marschierten. Karl Klaff wurde erster Zugführer und blieb es 25 Jahre, bis er 1978 freiwillig „ins Glied“ zurücktrat.
Den ersten offiziellen Auftritt hatte der Zug beim allerersten Patronatstag, am 3. November 1953. In den ersten „wilden“ Jahren durchlebte der Zug noch eine gewisse Fluktuation, bis sich dann langsam ab Ende der 1950er Jahre eine feste Truppe herausbildete, die sich zu einer eingeschworenen Zuggemeinschaft entwickelte, die bis heute existiert, wenn auch aktuell als ruhender, passiver Zug.
Ein Chargierten-Trio, das Jahrzehnte zusammenblieb
Eine große Hilfe war es natürlich, dass sich ab 1957 mit Karl Klaff als Oberleutnant, Gerd Nolte als Leutnant und Stephan Müller als Spieß ein Chargierten-Trio formierte, das Jahrzehnte zusammenblieb. Stephan Müller erlangte mit fünfzig durchgehenden Jahren Dienst als Spieß des Zuges Bekanntheit über das Schützenlust-Korps hinaus. Auch Gerd Nolte blieb einundvierzig Jahre lang Leutnant.
In den ersten jungen Jahren herrschte stets eine gähnende Leere in der Zugkasse und man war häufig auf die finanzielle Unterstützung durch die Eltern angewiesen. Trotzdem bemühte man sich um gemeinsame und gesellige Veranstaltungen, hauptsächlich im Kolpinghaus, oder veranstaltete Ausflüge und Kegelabende.
Es ging dem Zug immer darum, das Gemeinschaftsgefühl zu stärken und den Zuggeist zu fördern. Auch entwickelte man schon früh Ehrgeiz beim Schießsport. Bereits 1955, noch blutjung, erreichte man beim Gesellschaftsschießen die erste Platzierung. In späteren Jahrzehnten werden sie innerhalb der Schützenlust die Schießwettbewerbe dieses Korps nach Belieben dominieren.
Die erste Großfackel der Hubertus-Schützen
Als im Jahre 1958 unser Major Bruno Kistler sein Schützenkönigsjahr beging, beschloss der Zug „Hubertus-Hirsch“ anlässlich dieses Ereignisses eine Großfackel zu bauen. Da der Major zu dieser Zeit noch Junggeselle war und auf der Suche nach einer repräsentativen Königin an seiner Seite, thematisierten die „Hirsche“ das mit dem Fackelthema „Majestät auf Brautschau“. Die Fackel war mehrteilig; vor einer Königskutsche zogen vier Kutschpferde voran. Die Fackel war mit einem aufsehenerregenden Bewegungselement versehen. Kopf und Hals des Königs waren
ausfahrbar, so dass ein König mit Giraffenhals die Suche nach einer Braut symbolisch und überdeutlich darstellte. Der jetzige Schützenlustzug „Hubertus-Hirsch“ weist ausdrücklich darauf hin, dass diese Großfackel, immerhin die erste der Hubertusschützen, von ihnen alleine gebaut worden ist. Im Gegensatz zu später irreführenden Behauptungen eines anderen, bekannten, alten Hubertus Oberleutnants. Es gibt genügend Fotos, die Mitglieder des Zuges „Hubertus-Hirsch“ beim Bau der Fackel zeigen. Lediglich die vorantrabenden Kutschpferde hat Willibert Fischer (†) gebaut.
Ab 1960 gelang es dem Zug „Hubertus-Hirsch“ einige Mitglieder anderer Hubertuszüge zu werben und diese werden zumeist viele Jahrzehnte im Zug verbleiben und sich zu großen Stützen entwickeln. Im Jahre 1963 marschierten allein im Hubertuszug „Wilddiebe“ fünf zukünftige Mitglieder des Zuges „Hubertus-Hirsch“.
Nun, in den 1960er-Jahren, sind die Mitglieder beruflich etabliert, zum Teil schon verheiratet und man richtete auch aus höherem Gemeinschaftssinn den Blick auf eine Beteiligung an der Vorstandsarbeit. Stephan Müller wurde Kassierer der Hubertusschützen und Helmut Düren Schießmeister. Zudem stellte der Zug mit ihren Mitgliedern Ernst vom Dorff und Günther Ebenhöch einige Jahre die Fahnenschwenker bei Umzügen in den Jahren ohne aktiven Fahnenzug.
Der Auslöser ihres Austritts 1966
Seit ihren Anfängen im Hubertuskorps verrichteten Mitglieder des Zuges am Patronatstag Dienst als Messdiener während des Hochamtes. Und das sollte im Jahre 1966 zum Auslöser ihres Austritts werden. Ein anderer Zug hatte sich anerboten, den Dienst als Messdiener zu übernehmen. Die „HubertusHirsche“ waren froh, mal länger schlafen zu können, aber der andere Zug kam nicht zum Dienst und man stand ohne Messdiener beim Hochamt da (Nein, ich verrate den Namen nicht).
War es nun mangelhafte Kommunikation oder fehlende Absprache? Wir wissen es nicht. Ein zutiefst erzürnter Major Kistler ließ seinem Ärger und Unmut über den Zug „Hubertus-Hirsch“ freien Lauf und stauchte die Mitglieder des Zuges zusammen wie dumme Jungs. Die Mitglieder waren über diese, für sie ungerechtfertigte Standpauke, erbost und beschlossen unsere Gesellschaft zu verlassen.
Man schloss sich ab 1967 dem Korps der Schützenlust an, als 17. Zug. Die Schützenlust war zu dieser Zeit auch nicht viel größer als Hubertus. Offiziell sprach man immer über „die drei kleinen grünen Korps auf dem Wendersplatz“. Nun, Bruno Kistler hätte besser besonnenere Worte gewählt. Im Nachhinein besehen, zeigte es sich, dass der Weggang des Zuges „Hubertus-Hirsch“ ein wirklich herber Verlust für unser Hubertus-Korps war.
Im Korps der Schützenlust erlebte der Zug eine Erfolgstory, wie man sie kaum vorher zu erträumen wagte. Über viele Jahrzehnte dominierten die Männer des „HubertusHirsch“ die Schießwettbewerbe. Ein zweiter oder gar dritter Platz war beinahe unerträglich. Neunmal stellte der Zug den Korpssieger eine unerreichte Zahl, ungezählte Wettbewerbe wurden gewonnen. Drei Mitglieder beteiligten sich viele Jahre an der Vorstandsarbeit, Stephan Müller als Kassierer, Helmut Düren als Schießmeister und Norbert Faßbender als Schützenmeister. Alle drei wurden zu Ehrenmitgliedern der Schützenlust ernannt. Alle drei erhielten auch das „Goldene Ehrenabzeichen“ des Neusser Bürger-Schützen-Vereins.
Die grüne Fliege der Hubertus-Schützen
Der Zug „Hubertus-Hirsch“ reklamiert für sich, die grüne Fliege der Hubertus-Schützen erfunden und eingeführt zu haben. Bis 1963/1964 gehörte zum dunklen Anzug gemäß Uniformordnung und Majorsbefehl eine einheitliche silbergraue Krawatte. Nun kannten die jungen Mitglieder des „Hubertus-Hirsch“ etliche junge Näherinnen der Neusser Krawattenfabrik. Diese hatten mit den „Hirschen“ die Idee der grünen Fliege und setzten sie tatkräftig und nadelfertig in die Praxis um. Major Kistler hat dem Vernehmen nach zuerst wegen des Verstoßes gegrollt, erkannte jedoch als gewiefter Kaufmann das Alleinstellungsmerkmal
und ab 1966 war die grüne Fliege offiziell Bestandteil der Uniformordnung. Ein Altmitglied des Zuges „Götz von Berlichingen“ reklamiert diese Geschichte jedoch auch für seinen Zug. Ganz neutral denkt sich der Archivar, dass wohl beide Recht haben mögen. Denn sie verkehrten doch alle im gleichen Szenelokal – in der legendären Milchbar – die Hubertus Schützen und die Krawattennäherinnen. Vielleicht hatten die „Götzen“ ebenfalls etliche Bekanntschaften aus der Krawattenfabrik. Eventuell waren die Schnittmengen sogar annähernd deckungsgleich, um es mal mathematisch auszudrücken.
Norbert Faßbender, seit 1982 passives Mitglied in unserem Korps, nahm mehrfach Anlauf zur Erringung der Schützenkönigswürde und trat viermal an die Vogelstange. Ihm war leider kein Glück beschieden.
Der Zug „Hubertus-Hirsch“ hatte sich von Anfang an bemüht, auch die Damen des Zuges fest in die Zuggemeinschaft einzubinden. So führten auch die Damen einen jährlichen Schießwettbewerb um den Titel der „Schützenliesel“ aus. Die Zugausflüge wurden gemeinsam begangen. Viele mit großem Applaus bedachte Großfackeln wurden gebaut. Ungezählte Feste und Empfänge wurden veranstaltet, zu der man stets höchste Würdenträger der Stadt und des Schützenwesens begrüßen konnte. Die Feiern des Zuges genossen einen hervorragenden Ruf, man folgte den Einladungen gerne.
Die „Hirschfamilie“ – 68 Jahre eine innige Gemeinschaft
Die Konstanz innerhalb der Zugführung ist eindrucksvoll. Karl Klaff blieb von 1953 bis 1978 Oberleutnant; ihm folgte Raimund Ross für ebenfalls 25 Jahre bis 2003. Danach übernahmen Helmut Düren und Norbert Faßbender die Zugführung. Die sagenhaften 50 Jahre Dienst als Spieß von Stephan Müller erwähnten wir schon. Auch auf dem Posten des Leutnants wurden nicht viele „verschlissen“. Das Zusammengehörigkeitsgefühl der „Hirschfamilie“ war stets groß genug, um eine innige Gemeinschaft über jetzt fast 68 Jahre aufrecht zu erhalten.
Von heute noch zwölf Mitgliedern konnten bereits neun ihre Goldene Hochzeit feiern. Was auch dem Zugklima dienlich ist: Denn jeder weiß, dass Scheidungen und neue Partnerinnen oft Unruhe bedeuten im Zug. Den Zug verließen nur wenige, es sei denn wegen Krankheit oder Tod. Gibt es ein Geheimnis, lässt sich ein Patentrezept daraus ableiten? Wohl kaum. Es ist halt die Mischung der Mitglieder, die viel vom Zufall abhängt.
Wir erwähnten unzählige und abwechslungsreiche Veranstaltungen, die mit viel Kreativität verwirklicht wurden. Die Mitglieder und auch ihre Frauen bewiesen ihr komisches Talent als Sänger, Liedtexter, Reimkünstler, Parodisten, Schauspieler, Kabarettisten etc. und machten aus beinah jeder Veranstaltung ein weiteres neues Feuerwerk, das Mitglieder wie Gäste begeisterte.
Alles ist nachzulesen in der Großen Zugchronik aus dem Jahr 2013, veröffentlicht anlässlich des 60-jährigen Zugjubiläums. Diese Chronik ist wohl die „Mutter aller Zugchroniken“ mit gut 220 Seiten, reich bebildert und fabelhaft geschrieben von einem Autorenteam des Zuges. Stephan Müller war so freundlich und hat sie dem Hubertusarchiv ausgeliehen. Eigentlich kann man sie nur mit ein wenig Neid lesen.
Viktor Steinfeldt