Mein Aufruf in der letzten Hubertuszeitung zur Überlassung von Zeitungsausschnitten landete einen Volltreffer. Wie es der Zufall wollte, zieht das Archiv der NGZ in diesen Tagen in ein Zentralarchiv der Mediengruppe Rheinische Post nach Leverkusen. Aus Platzgründen wird nur jeweils ein Satz aller NGZ-Ausgaben umgelagert. Duplikate und Drittsammlungen werden „verwertet“.
Der Hubertusschütze aus dem Zug „Brasselsäck“ Ian Breidenbach arbeitet in leitender Funktion bei der Mediengruppe und machte mir, dem Archivar ein Angebot, das mich nahezu erschlug. Zugriff auf 30 Jahrgänge an Duplikaten. Ich erstarrte vor diesem Angebot. Außerdem machte ich mir keine Vorstellung, um welche Menge es sich hier handelt. Ich erstellte eine Wunschliste aus den 50er-Jahren, hier besonders die Zeit des Neuanfangs 1952 und 1953 sowie aus der Zeit der Krise 1961 mit der Trennung der Schützengilde von den Hubertusschützen. Außerdem die August-Sammlung jeden Jahrgangs von 1950 bis 1962. Der Meriva war bei heruntergeklappter Rückbank gut beladen. Ich stürzte mich in das pure Lesevergnügen. Da wird die ganze Kindheit wach, sogar der erste Spatenstich meines Kindergartens in der „Plankjass“ (heute Adolf-Flecken-Straße) im Juli 1953 wurde im Bild festgehalten.
Herrlich, die ganze Galerie legendärer Schützenfiguren wie Präsident Vellen, Jägermajor „Hecke Papp“, Chefböllerer Ingmanns Chress und viele andere wieder zu finden. Oder die tollen Veranstaltungen der einzelnen Korps. Dann die Nachrichten aus aller Welt. Leider tobten nur wenige Jahre nach dem 2. Weltkrieg wieder weltweit Kriege mit Millionen Toten. Aber da gibt es Meldungen über Neuheiten und Sensationen, die könnten so auch wieder von heute stammen. Nur ein wenig anders.
Ich schnibbele fleißig Ausschnitte. Präzision ist gefragt, die Zeitung war unglaublich eng gesetzt mit recht kleiner Schrift. Zusammen mit den schon vorhandenen Ausschnitten haben wir nun einige hundert zusammen. Das wäre ein tolles Material auf der neuen Webseite der Gesellschaft. Die folgenden Seiten zeigen einige Eindrücke aus der Lektüre alter NGZ-Ausgaben.
Nach dem Schützenfest 1952 kam das Komitee des NBSV zur Einsicht, dass die „St.Hubertusschützen- Gesellschaft Neuss 1899“ keine große Zukunft mehr haben können. Die Hubertusschützen hatten einen schweren personellen Stand, zu dezimiert war ihre Anzahl und zu hoch ihr Altersschnitt. Während sich im Jahre 1950 die Schützenlust völlig neu gegründet hatte und rechten Schwung im Aufbau zeigte, konnten die Hubertusschützen die neuerwachte Schützenbegeisterung nach dem Krieg nicht aufgreifen. Selbst die hart gebeutelte Artillerie, die personell durch Kriegsereignisse stark gelitten hatte und auch ihre Kanonen und Protzen verloren hatten, zeigten sich zum Schützenfest 1952 stark erneuert und vermeldete starken Mitgliederzulauf.
Vor dem Schützenfest berichtet die NGZ am 17. Juli 1952 vom zarten Optimismus der Hubertusschützen. Seit Beginn des Jahre 1952 Mitglied der St. Sebastianus-Schützenbruderschaft hatte man die Uniformprobleme gelöst und wollte „friedensmäßig“ zum Schützenfest antreten. Im damaligen Sprachgebrauch meint „friedensmäßig“ „wie vor dem Kriege“. Jedoch es fehlte der Nachwuchs. Zwar waren immerhin noch insgesamt 17 Marschierer gemeldet, jedoch ließ der Altersschnitt beim realistisch denkenden Betrachter keine großen Hoffnungen aufkeimen.
Soweit uns heute die Mitglieder namentlich bekannt sind, so waren sie beinah ausnahmslos noch aus dem 19.Jahrhundert gebürtig, also im Schnitt deutlich über 50 Jahre alt. “Nachwuchs tut not“, so lautete auch die Zweitüberschrift über dem Artikel. Nur leider, der Nachwuchs kam nicht von allein. Das Komitee griff ein und vermittelte Verhandlungsgespräche zwischen dem Jägerzug „Erftjunker“ und dem Vorstand der Hubertusschützen. Nach einigen Verhandlungen wurde das Ergebnis am 22. November 1952 in der NGZ verkündet.
Der Zug „Erftjunker“ tritt in die Gesellschaft der Hubertusschützen ein, reformiert und organisiert die Gesellschaft neu.
Zwar treten einige der alten Hubertusschützen in die neue Gesellschaft ein, jedoch bis auf zwei oder drei sind sie im Laufe des Folgejahres bereits nicht mehr in der Gesellschaft. Der neue Schwung war ihnen wohl nicht geheuer.
Der weitere Gang der Geschichte wurde schon oft berichtet. Bereits im Januar 1953 trat mit dem Zug „Waldhorn 1949“ ein weiterer Jägerzug über zu den Hubertusschützen. Es gründete sich mit dem ersten Zug „Hirschfänger“ der erste Neu-Hubertuszug, welcher bereits jedoch nach zehn Jahren aus der Gesellschaft ausscheiden wird. Aus dem spontanen Zulauf zahlreicher schützenbegeisterter Männer konnten ein Fahnenzugund der Fanfarenzug gegründet werden. Den jüngeren heutigen Mitgliedern scheinen diese Jahre vielleicht so weit zurück zu liegen wie Kaiserzeit oder gar Mittelalter. Wer will es ihnen verdenken?
Vielleicht können wir aus den alten Zeitungen ein wenig Licht auf diese Jahre werfen. Im fernen Osten tobt noch der Korea-Krieg, es herrscht Kalter Krieg, man testet reichlich Atombomben und auch schon H-Bomben. In asiatischen und afrikanischen Kolonien flackern die ersten Befreiungskriege auf. Deutschland steht noch unter Besatzungsrecht und der Westen Deutschlands, die neugegründete BRD bemüht sich um Anerkennung und Vertrauen innerhalb der westlichen Welt. Die Montan- Union als erste Keimzelle Europas wird gelingen, die Europäische Verteidigungsgemeinschaft wird am Widerstand Frankreichs scheitern. Zu groß noch das Misstrauen.
Hunderte Flüchtlinge aus der Sowjet-Zone kommen jeden Monat in die BRD. Nach dem gescheiterten Volksaufstand im Juni 1953 werden es Tausende sein im Monat. Die Wohnungssituation ist bedrohlich. Es fehlen mehrere tausend Wohnungen allein in Neuss. Es herrscht noch Arbeitslosigkeit, das Wirtschaftswunder ist noch nicht auf vollen Touren. Wie sah der Alltag aus? Es gab noch die Sechsttage-Woche. Die Wäsche wurde noch gekocht und von Hand gewaschen.
Man ging regelmäßig in eines der vielen Neusser Kinos. Fernseher waren schon erfunden, aber es hatte keiner einen dieser neuen Wunderapparate. Auf den Bürgersteigen vor Radiogeschäften bildeten sich große Menschenansammlungen, wenn einer dieser Apparate im Schaufenster auf Sendung ging. Auf 100 Einwohner kamen ca. 8,5 Festnetztelefone, eingerechnet Firmen und Behördenanschlüsse. Also, es hatte kaum einer ein Telefon.
Wie die Herren von „Erftjunker“ und ihre Unterstützer binnen 10 Monaten ein neues Schützen-Korps auf die Beine gestellt haben ohne moderne Kommunikationsmittel, also Mobiltelefon, Fax, E-Mail, Twitter, Facebook und so weiter, das mag uns heute echte Rätsel aufgeben. Kritiker des modernen Kommunizierens mögen allerdings ketzerisch anführen, dass das nur OHNE diese Hilfen möglich gewesen sei. Zum Schützenfest 1953 zeigte sich das Werk gelungen. Ab diesem Jahr ging es aufwärts mit den Hubertusschützen.
Viktor Steinfeldt